Der 10. Wiener Bezirk: Favorit aus gutem Grund

Kaum zu glauben, aber Fakt:

Wäre der 10. Bezirk Favoriten eine eigene Stadt, dann wäre diese hinter Wien und Graz mit rund 207.200 Einwohnern ungefähr so bevölkerungsreich wie Linz und somit die viertgrößte Stadt Österreichs. Bei genauerer Betrachtung wird schnell klar warum – denn Favoriten hat den Einwohnern allerhand zu bieten.
Wir haben ein Wochenende im 10. Wiener Gemeindebezirk verbracht, um uns selbst ein Bild zu machen.

Wo fängt man an?

Bei einer Fläche von fast 32 km2 stellt sich die grundsätzliche Frage, wo genau die Reise beginnen soll. Ein gar nicht so leichtes Unterfangen. Als zugreisende Google-Maps-Nutzer entscheiden wir uns, am Matzleinsdorfer Platz, 5 Fahrminuten vom Hauptbahnhof, 13 Fahrminuten vom Westbahnhof entfernt, in den 10. Bezirk einzutauchen. Dieser Verkehrsknotenpunkt bündelt vier Straßenbahnlinien und führt die Triester Straße und den Margaretengürtel für den Individualverkehr zusammen. Nicht weit entfernt, gerade einmal acht Gehminuten, liegt auch schon unser erstes Ziel:

Der Waldmüllerpark

Trotz der etwas kühlen Temperaturen bot uns der 40.000 m2 große Waldmüllerpark im Norden von Favoriten, Ecke Landgutgasse, ein schönes Spaziergeh-Ambiente. Wo einst der katholische Friedhof Matzleinsdorf lag, spenden seit der Eröffnung durch Bürgermeister Jakob Reumann (1923) zahlreiche alte Bäume (unter ihnen erinnert einer an die erste Frauenministerin Johanna Dohnal) im Sommer Schatten, viele Sitzbänke laden zum Verweilen ein. An den ehemaligen Friedhof erinnern heute noch Teile der Friedhofsmauer, eine Steinlaube, eine Sternpergola beim Haupteingang und der Grabdenkmalhain mit Grabdenkmälern von historisch-künstlerischem Wert und bekannten Persönlichkeiten – unter ihnen: Der Maler und Namensgeber Ferdinand Georg Waldmüller (1793 – 1865). Wir verlassen den Waldmüllerpark über den südlichen Ausgang, bei der einstigen Friedhofsgärtnerei, die heute als Kindertagesheim der Stadt Wien genutzt wird und beschließen, uns auf den Weg zum 19 Geh-Minuten entfernten Amalienbad aufzumachen.

Das Magistratische Bezirksamt 

Auf unserem Weg zum Viktor-Adler-Markt kreuzen wir acht Minuten später die Laxenburger Straße und finden uns vor einem beeindruckenden Gebäudekomplex wieder. Schnell bringen wir in Erfahrung, dass es sich dabei um das Magistratische Bezirksamt des 10. Bezirks, also um eine „Außenstelle“ der Bezirksämter handelt. Das denkmalgeschützte Amtsgebäude aus dem Jahr 1882 ist im gotisierenden späthistorischem Stil in Sichtziegelbauweise erbaut und beheimatete eine Volksschule, ein Waisenhaus und Pfarrhaus. Zwar wurde der Komplex im Zweiten Weltkrieg durch die US-amerikanischen Bombenangriffe und Artilleriebeschüsse stark beschädigt, nach Kriegsende begann man allerdings recht zügig mit dem Wiederaufbau.

Der Viktor-Adler-Markt 

Eigentlich sollte unser nächster Programmpunkt das Amalienbad sein, doch am Weg dorthin werden wir von dem 1877 gegründeten und 1910 erweiterten Viktor-Adler-Markt „aufgehalten“. Der berühmte Multi-Kulti-Markt in der Leibnizgasse überrascht und begeistert uns in gleich mehrfacher Hinsicht: Einerseits waren wir gar nicht erst auf einen derart gut besuchten Markt (vor allem um diese Uhrzeit, es ist gerade erst Mittag geworden) vorbereitet, andererseits haben wir auch nicht mit einem derart vielseitigen Angebot gerechnet: Von internationalen kulinarischen Spezialitäten, Schnittblumen bis hin zu Kleidung wird hier alles geboten. Doch das ist noch nicht alles: Besonders auffallend und nicht zu überhören sind die Marktschreier, die sich lautstark gegenseitig überbieten. Ein Herr mit Hut informiert uns kurz vor dem Verlassen, dass der Viktor-Adler-Markt der einzige Marktplatz in Wien ist, an dem das Marktschreien noch praktiziert wird und dass der Insider-Name für den Markt ja eigentlich „Platz 1“ ist. Belustigt über die Erlebnisse und die ungemeine Vielfalt des Bezirks setzen wir unsere „Favoriten-Reise“ ins vier Minuten entfernte Amalienbad zu Fuß fort.

Das Amalienbad

Das Amalienbad wurde 1923 errichtet und wie wir vor Ort erfahren, nach der sozialdemokratischen Gemeinderätin Amalie Pölzer benannt. Sie war 1919 die erste Frau, die in Favoriten in den Gemeinderat gewählt worden war. Pölzer gründete 1893 gemeinsam mit der berühmten Frauenrechtlerin Adelheid Popp den Lese- und Diskutierklub Libertas und zeichnete sich durch ihr hohes Engagement in der sozialdemokratischen Frauenbewegung aus. Bis zu ihrem Tod 1924 war sie als Abgeordnete im Wiener Landtag tätig. Vor diesem Hintergrund staunen wir nicht schlecht über das weitläufige und prunkvolle Hallenbad im Art-déco-Flair der 1920iger Jahre. Auch das umfangreiche Angebot haben wir so nicht erwartet: Neben der Schwimmhalle wird auch ein vielseitiges Wellness Programm angeboten. Dann erwartet uns auch gleich das nächste Programmhighlight:

 

Der Eissalon Tichy 

Ganze zwei Minuten vom Amalienbad entfernt, finden wir also die nächste Freude, die Favoriten für uns bereithält Was 1952 in einem Kellerlokal begann, wurde 1955 in Favoriten, am Reumannplatz 13, professionalisiert: der Eissalon Tichy. Aufgeheizt durch unser Badeerlebnis vergessen wir die erfrischenden Außentemperaturen und finden uns vor dem Wiener Kulteishersteller Marke Favoriten wieder. Dass unsere Wahl auf die von Tichy patentierten Eismarillenknödel fällt, versteht sich von selbst! Weiter geht es zur angrenzenden Fußgängerzone:

 

Die Favoritenstraße

Die Bezeichnung „Favorita“ geht zurück auf die Sommersitze des Hofs auf der Wieden (Theresianum, „Lustschloss Favorita“, „alte Favorita“) und im Augarten („neue Favorita“). Doch die durch das Theresianum geprägte Straße hieß nicht immer so: Im Mittelalter trug sie den Namen „Wimpassinger Weg“, später wurde sie zum sogenannten „Kaiserweg“, da sie bis zur Belvederegasse von pompösen Barockbauten gesäumt war. Schon im 18. Jahrhundert war die heutige Favoritenstraße dicht verbaut, um 1900 wurde die Umgebung rund um die Favoritenstraße um elegante Wohngegenden erweitert.

1978 befreite sich die Favoritenstraße oberirdisch durch den U-Bahn-Bau von schienengebundenen Verkehrsmitteln und ist seither eine der längsten und beliebtesten Fußgängerzonen in Wien. Die Verlängerung der U1 nach Oberlaa 2017 machte den Einsatz von Straßenbahnen dann gänzlich obsolet. Seit der Neugestaltung zwischen Landgutgasse und Buchengasse im Jahr 2010 glänzt die Favoritenstraße durch ein einheitliches Erscheinungsbild, erneuerte Straßenoberflächen, Beleuchtungs- und Gestaltungselemente wie Sitzgelegenheiten oder Grünbereiche. Es darf einen also nicht wundern, wenn der Nachmittag wie im Flug vergeht!

Der FH Campus Wien

Um Favoriten nicht nur von der lebensfreudigen und erholsamen Warte aus zu betrachten, haben wir uns für den zweiten Favoriten-Tag den FH Campus Wien vorgenommen. Ganze sieben Minuten Weg gehen wir vom Reumann-Platz bis zu diesem hellen, schönen und modernen Komplex.

Der Volkspark Laaer Berg und das Laaerbergbad

Das Laaerbergbad wurde 1959 auf dem Südhang des Laaer Berges errichtet und 1994 renoviert. Dabei konnten nicht alle Mosaike erhalten bleiben, in Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung der Stadt Wien wurden diese allerdings originalgetreu nachgebildet. Im Gegensatz zum Amalienbad ist das Laaerbergbad auf ein breiteres Zielpublikum ausgerichtet und bietet zahlreiche Angebote zur Freizeitgestaltung. Am Südhang beheimatet ist der Volkspark Laaerberg. Er ist Bestandteil des Wiener Grüngürtels (Kurpark Oberlaa, Laaer Wald und Wienerberg) und bequem durch die U-Bahnstation „Altes Landgut“ erreichbar.

Das Erholungsgebiet Wienerberg

Nach unserer bisherigen Favoriten-Tour zeichnet der 10. Bezirk ein immer präziseres Bild, und dieses ist stark von Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten geprägt. Unweit vom Laaer Berg entfernt, beschließen wir, den Wienerberg zu erkunden, immerhin will dieser sonnige Tag ausgiebig genützt werden!

Von der Langsulzgasse am Fuße des Laaerbergs fahren wir bequeme 22 Minuten mit dem Bus zur Altdorferstraße. Schon nach weiteren neun Minuten sind wir am Ziel und uns erwartet ein 14 km langes Wegenetz das uns mehrere kleine Teiche (noch aus der Zeit des Lehmabbaus) und Freizeitplätze bietet. Von einer Passantin erfahren wir, dass einer dieser Teiche, der Wienerberg-Teich, ein inoffizieller Naturbadeplatz ist, an dem es sich im Sommer herrlich baden lässt. Aber auch für den Rest des Jahres lässt sich der Wienerberg gut nützen. Wie wir herausfinden, gibt es mehrere Liegewiesen, einen Heilkräutergarten, Laufstrecken mit sogenannten „Running Checkpoints“, eine Pferdekoppel sowie eine eigene Hundezone.

Der Kurpark Oberlaa

Nach unserem Erholungsspaziergang steigen wir in der Gartenschaugasse wieder in den Bus und fahren 40 Minuten bis zur Männertreugasse zum 860.000 m2 großen Kurpark Oberlaa, am Südosthang des Laaer Bergs. Das ehemalige Areal der weniger erfolgreichen bzw. nachhaltigen Gartenschau wurde 1974 zu einer öffentlichen Parkanlage umgewandelt und bietet Besuchern zahlreiche Themenbereiche. Neben einem Blumenlabyrinth, einem barocken Brunnengarten kann auch die Filmstadt der 1920iger Jahre, der Japanische Garten, Staudengarten mit seltenen Gehölzen und vieles mehr besucht werden.

 

Die Therme Wien Oberlaa

Am späten Nachmittag nähern wir uns unserem letzten Programm-Ziel: Der Therme Wien. Zugegeben: Es ist nicht ganz zufällig, dass wir mit diesem Favoriten-Erlebnis unser Favoriten-Wochenende beschließen und nach den zahlreichen Erlebnissen an diesem Tag haben wir etwas Entspannung auch dringend nötig. Wie wir schon im Vorfeld recherchierten, bietet die Therme Wien Oberlaa alles, was das Wellness-Herz begehrt. Kommt man vom Reumannplatz, und nicht wie wir vom Kurpark Oberlaa, so ist die Therme gerade einmal acht U-Bahn-Minuten entfernt. Ein echtes Highlight, wie wir finden! Generell hat uns der 10. Bezirk Favoriten sehr überrascht.

 

Unser Fazit – einer unserer Favoriten?

Ja, Favoriten hat uns wirklich positiv überrascht und das auf ganzer Linie. Wir hätten nicht gedacht, an diesen beiden Tagen so Abwechslungsreiches zu erleben. Vor allem das Angebot der Naherholungsgebiete, die unmittelbare Nahversorgung durch zahlreiche Geschäfte, die überaus guten Verkehrsanbindungen und die kulturelle und kulinarische Vielfalt, vermittelt uns ein wunderbar kosmopolitisches Flair des Bezirks. Obwohl unser Programm reich gefüllt war, hatten wir bei der Abreise dennoch das Gefühl, Favoriten nicht annähernd entdeckt zu haben, da die Möglichkeiten und das Angebot so vielfältig sind. Im Zug schmieden wir daher einen ganz besonderen Plan: Unseren nächsten Favoriten-Besuch widmen wir ganz den geheimen Plätzen des Bezirks, „Inside Favoriten“ sozusagen und wir sind uns ziemlich einig, dass diese Entdeckungsreise zu einem legendären Erlebnis wird!